Wochenbett?
Erholung von der Geburt? Ist das nicht nach ein paar Tagen erledigt?
Typischerweise nicht, denn die Vorgänge auf allen Ebenen sind unglaublich vielschichtig und fast alles ist neu.
Was passiert nach der Geburt?
Schauen wir als erstes auf das Kind:
Das Kind beginnt nach der Geburt zu atmen. Das ist erstmal ein Reflex und schnell gemacht.
Doch daran hängt eine Umstellung des Blutsystems. Die roten Blutkörperchen müssen dazu umgebaut werden, um den Sauerstoff aus der Lunge aufnehmen zu können. Das ist ein wirklich anstrengender organischer Prozess und viele Aspekte des Körpers sind daran beteiligt: Das Herz und die Lunge, die Milz, die rote Blutkörperchen aussortiert und die Leber, die diese abbaut und neue Aminosäuren synthetisiert, für neue Proteine.
Es findet eine Herzadaption statt. Das heißt, das Herz und der Blutkreislauf stellen sich von der Versorgung über die Plazenta auf Eigenversorgung um. Durch die Druckveränderungen, wenn die Nabelschnur nicht mehr pulsiert, verändern sie die Druckverhältnisse in den Kammern und Vorhöfen des Herzens, das Foramen ovale schließt sich und wächst in den nächsten Wochen zu und der Lungenkreislauf verbindet sich mit dem Kreislauf des Körpers auf unsere typisch menschliche Art.
Der Verdauungstrakt beginnt zu arbeiten. Er ist ab dem Moment der Trennung der Versorgung über die Nabelschnur verantwortlich für die Nährstoffaufnahme. Dazu muss sich das Mikrobiom aufbauen, dass das Kind in der Zeit der Schwangerschaft noch nicht hat. Die mikrobiotische Besiedlung beginnt während der Geburt über die vaginale Flora und im Moment des Durchtrittes durch den Kontakt zur Darmflora der Mutter und entwickelt sich in den ersten Lebenswochen.
Es öffnet sich die sinnliche Wahrnehmung auf allen Ebenen. Hören, Sehen, Riechen, Schmecken, Berührung,... werden menschlich.
Die Umwelt des Kindes ändert sich. Es kommt aus der engen und dämmerischen Gebärmutter ins Freie. Draussen ist alles komplett anders.
Schön, wenn die Kinder bei gedämpftem Licht in warme Geborgenheit geboren werden, um diesen Übergang sanft zu gestalten.
Nur leise war es in der Mutter nicht. Darm, Aorta, die Stimme der Mutter und so weiter können im Bauch ordentlich Lärm machen.
Das Kind wird aus all diesen Gründen nach der Geburt als Neugeborenes bezeichnet. Seine Zeit als Säugling beginnt, wenn all diese Aspekte eingespielt und ein Stück weit selbstverständlich geworden sind. Das ist erst nach 6 bis 8 Wochen soweit.
Was passiert bei der Mutter?
Ein Aspekt ist natürlich die körperliche Rückbildung, also das Wiederherstellen der „normalen“ Funktionen des Körpers und die Heilung der Geburtswunden (Plazentawunde in der Gebärmutter zum Beispiel). Aber das ist nur ein Bruchteil!
Die Schwangerschaftshormone fallen im Moment der Trennung von der Plazenta weg und zusätzlich kommen die Stillhormone. Viele Frauen sind allein durch diesen Vorgang echt beansprucht. Sie schwitzen und fühlen sich ein bisschen wie in den Wechseljahren.. Sie sind auch in genauso einer Zeit des Wechsels, nur ist dieser in einen viel kleineren Zeitraum gepackt.
Es verändern sich das Körpergefühl und die Rhythmen. Die Frau geht in ein bisher völlig unbekanntes neues Ich. Sie muss sich nach der Geburt erstmal kennenlernen und herausfinden, wohin sie sich entwickelt hat und was nun alles zu ihr gehört.
Eine Geburt verändert das Leben. Es ist ein Tod des alten Ichs und eine neue Geburt als Frau, Mensch, Partnerin, Mutter… Durch die Geburt ihres Kindes ist die Frau zum Einen geworden, zum Tor für ihr Kind. Es ist eine Initiation in ihr eigenes Leben. Themen, die vorher relevant waren, werden weg sein und andere Interessen, Lebensideen und Ideen der Lebensgestaltung werden Platz nehmen.
Dazu kommt, dass die Frau zur Geburt in einen irren nicht linearen Raum fällt und in der Zeit danach nicht nur ihr neues Ich, sondern überhaupt die für alle anderen selbstverständliche Dualität und Linearität wieder entdecken muss.
Auch war das System Mutter und Kind in der Schwangerschaft mit zwei Quellen versorgt. Die der Mutter und die des Kindes. Das trennt sich zur Geburt und beide gehen ihre Wege.
Der Blutkreislauf der Frau stellt sich um. Sie hat in der Schwangerschaft wesentlich mehr Blutvolumen aufgebaut mit anderen Parametern. Beispielsweise war in der Schwangerschaft der Sauerstoffgehalt des Blutes höher und der Kohlendioxidgehalt niedriger und die Immunologie war anders.
Und auch der Vater braucht das Wochenbett. Auch bei ihm verändert sich viel und er darf sich in seine neue Position als Vater (des egal wievielten Kindes!) einfinden. Auch er hat Geburt zu verarbeiten und wenn die Partnerschaft Intimität (den vom Rand entferntesten Punkt einnehmen) erlaubt, ist er mit durch den Raum Geburt gegangen und war nicht einfach nur dabei… Dann ist für ihn genau wie für die Mutter nichts mehr, wie es vorher war.
Und so weiter… ganz sicher gibt es noch viel viel mehr Aspekte, die sich umstellen, erneuern oder verabschieden.
Deshalb braucht es das Wochenbett. Es dauert so lange wie Mutter und Kind und die ganze Familie brauchen, um in ihrem neuen Leben sicher Fuß zu fassen.
In dieser Zeit braucht es Ruhe und Frieden. Es ist eine Zeit der Findung des Ichs und Wirs. Dieser Prozess darf geschützt ablaufen für alle Beteiligten und ihre kommenden Leben.
Was können wir als Coaches tun?
Als erstes informieren! Wochenbett ist keine esoterische Mode Idee, sondern einfach eine krasse Umstellungs- und Findungsphase!
Für das Kind im Wochenbett können wir schauen auf: Menschsein, Atmung, Lunge, Herz, Blutkreislauf, Milz, Leber, Stillen, Sinne, Reflexe, Rhythmen, Nährung, Anbindung ... sind alle Räume real, eigen und frei? Hat sich Geburt real verwirklicht?
Für die Mutter können wir schauen auf: Rückbildung allgemein, Plazentawunde, Beckenboden, Damm, Blut, Hormone, Brüste, Brustwarzen, das eigene Ich, das eigene Muttersein, Rhythmen, Struktivenergie, Selbstliebe und so weiter... Konnte sie die Geburt ihres Kindes real erlauben und mitgehen? Braucht es da noch etwas zur Erfüllung des Raumes?
Was braucht der Vater, der Familienraum, der Mutter-Kind-Raum, der Vater-Kind-Raum, Geschwisterräume? Gibt es etwas im Umfeld zu tun?
Wochenbett ist wichtig.
Wenn wir achtsam und ein bisschen vorbereitet in das Wochenbett gehen, ist es eine magische und so wunderschöne Zeit, in der wir so nah bei uns selbst, unserem Leben und unserer Selbstverwirklichung sind…
Mit der Geburt ist das Ankommen auf der Erde nicht abgeschlossen. Mit der Geburt ist die Schwangerschaft abgeschlossen und das Leben auf der Erde beginnt.